Infos für Eltern, Kitas und Tagespflege:
Aufbau und Umgang mit Hörgeräten bei Kindern
Viele Kinder, die eine Hörschädigung haben, gehen trotzdem in eine reguläre Kita oder sind bei einer Tagesmutter oder einem Tagesvater. Auch der Besuch an einer Regel-Schule kann gut verlaufen.
Die Betreuenden oder Lehrenden haben jedoch oft keine oder wenig Erfahrung im Umgang mit Hörgeräten. Gerade bei jüngeren Kindern, die selbst die Verwaltung der Hörgeräte noch nicht bewältigen könne, kann das problematisch sein. Die folgenden PDFs geben einen kurzen Überblick über das Hörgerät (“Lauschi”) und wie es richtig eingesetzt wird. Auch werden Handlungstipps gegeben, falls das Lauschi im Alltag in den Buddelkasten oder eine Wassertasse fällt.
PDF 1:
Aufbau des Hörgeräts (grob) mit Handlungsempfehlungen bei Alltagsunfällen
(Hörgerät in Wasser, Saft, Tee oder Milch sowie Hörgerät in Sand)
Kinder mit Hörgeräten – wichtige FAQ zum besseren Verständnis
Können Kinder mit Hörgeräten in eine normale Kita gehen?
Kinder mit Hörgeräte können in eine reguläre Kinderkrippe oder Kindertagesstätte gehen. Im Alltag brauchen Hörgeräte keine besondere Wartung, so dass Betreuende sich ganz dem üblichen Kontakt mit dem Kind widmen können.
Erleben Kinder mit Hörgeräten Einschränkungen?
- Hörgeräte bieten kein Richtungshören.
- Hörgeräte können nicht zwischen wichtig und unwichtig unterscheiden.
- Hörgeräte können weit entfernte Geräusche nicht hören.
- … Kinder mit Hörgeräten in Spielsituationen schneller “abgehängt” werden, da sie z.B. nicht hören, von wo sie jemand ruft oder wo etwas passiert.
- … Kinder mit Hörgeräten jemanden, der sie von der anderen Seite des Spielplatzes ruft, voraussichtlich nicht hören – insbesondere wenn es Geräusche im direkten Umfeld des Kindes gibt.
- … Kinder mit Hörgeräten keine natürliche Filterung von wichtigen Gesprächen oder Sprachanteilen in einem Raum haben. Beim natürlichen Hören sortiert unser Gehirn vor und läßt uns z.B. aufmerksam werden bei Gesprächen mit unserem Namen oder von Menschen, die uns wichtig sind. Hörgeräte können das nicht. Für sie sind alle Gesprächsanteile gleich “wichtig”. Sie unterscheiden allein über die Nähe des Geräuschs zum Kind. Das fordert vom Kind deutlich mehr Aufmerksamkeit, um das Gehörte bewußt zu sortieren.
Gibt es besondere Anforderungen beim Umgang von Kindern mit Hörgeräten?
Natürlich ist das Klangerlebnis für Kinder anders als für normal hörende Kinder. Auch haben Hörgeräte verschiedene Fähigkeiten. Einige Geräte filtern z.B. Störgeräusche oder einen plötzlichen Lautstärkeanstieg. Andere nicht.
Fragen Sie als Betreuende die Eltern des Kindes nach den Fähigkeiten des Hörgeräts bzw. der Hörgeräte. Wenn die Geräte wenig Zusatzfähigkeiten mit sich bringen, müssen die Räume besser akustisch ausgestattet werden und der Umgang sensibler erfolgen, z.B. mit Vermittlung bei Streit, der oft aus nicht-Verstehen entsteht.
Müssen Kita-Räume für Kinder mit Hörgeräten besonders ausgestattet werden?
Es ist sehr wichtig, dass die Einrichtung akustisch angenehme Räume für diese Kinder ermöglicht. Für Kinder mit Hörgeräten ist die Belastung ohnehin deutlich höher als für normalhörende Kinder. In einer hallenden Umgebung steigt die Anstrengung nochmal enorm.
Wir empfehlen in jedem Fall die Räume, in denen das Kind sich aufhält, akustisch zu dämmen, so dass die Geräusche und vor allem auch die Sprache eine sehr gute Klarheit bekommen ohne Störgeräusche.
Kann man mit Hörgeräte tragenden Kindern normal sprechen?
Sie können grundsätzlich mit einem Kind, das Hörgeräte trägt, ganz normal sprechen. Beachten Sie jedoch das Folgende:
- Sprechen Sie das Kind immer so an, dass Ihr Gesicht dem Kind zugewandt ist. So hat es zusätzlich die Möglichkeit, die Bewegung Ihres Munds zu interpretieren. Außerdem erkennt das Hörgerät besser, dass Sie das Kind ansprechen. Wenn Sie in die andere Richtung sprechen, z.B. weil Sie kurz das Gesicht wegdrehen, sind Sie für das Hörgerät unbedeutender geworden (weil viel leiser) und werden daher auch nicht mehr so stark übertragen.
- Je näher Sie an dem Kind sind, desto besser kann es sie hören, ohne dass Sie lauter sprechen müssten.
- Sprechen Sie nicht überlaut. Das kann sehr unangenehm sein.
- Sprechen Sie nicht aus einer Entfernung von mehr als 3 m mit dem Kind. Falls es nicht anders geht, prüfen Sie, ob das Kind Sie gehört hat (z.B. durch Blickkontakt oder nachfragen).
- Sprechen Sie das Kind mit Namen an, wenn Sie mit ihm konkret sprechen.
Gibt es besondere Übungen für Kinder mit Hörgeräten?
Wenn Sie das Gefühl haben, dass das Hörgerät-tragende Kind undeutlich spricht oder Worte falsch zuordnet, empfehlen Sie den Eltern eine logopädische Begleitung, sofern diese noch nicht erfolgt. Falls Sie kleine Übungen im Alltag einbetten möchten, helfen Sie dem Kind, wenn Sie Falschaussprachen gemeinsam berichtigen – also das Kind auch nachsprechen lassen. Schwierig sind (wie für andere Kinder auch) beispielsweise Endungen (“meinen” oder “meinem”) oder Konsonant-Ähnlichkeiten wie “Tanne” oder “Kanne”. Sprechen Sie natürlich, aber deutlich. Der SingSang der Sprache ist ein wichtiger Teil im Spracherwerb. Verzichten Sie auch darauf, das Kind besonders stark vor anderen Kindern zu berichtigen, um es in der Gruppe nicht vorzuführen und zu schwächen.
Bleiben die Hörgeräte beim Turnen im Ohr?
Ja. Lassen Sie die Hörgeräte so viel wie möglich im Ohr. Sie sind recht robust. Es besteht dennoch eine höhere Schmerzgefahr, wenn ein Ball auf das Ohr trifft. Das harte Gehäuse tut natürlich viel mehr am Kopf und Ohr weh als wenn dort kein harter Gegenstand wäre. Dennoch ist es enorm wichtig, dass das Kind in möglichst unterschiedlichen Hörumgebungen das Hören lernt (wie normal hörende Kinder auch), damit sich die Gehirnstrukturen entsprechend vielseitig entwickeln können.
Sind Kinder mit Hörgeräten aggressiver?
Ein klares Nein. Kinder mit Hörgeräten sind in ihrem Charakter nicht aggressiver. Jedoch gibt es sehr häufig Verhaltensauffälligkeiten, die aus Überlastung, Überforderung und Ausgrenzung entstehen.
Deswegen ist es besonders wichtig, dass Betreuende in Streits oder angespannten Situationen auch das Hörerlebnis des Hörgeräte tragenden Kindes mit in die “Wagschale” nehmen, wenn sie eine Situation oder ein Handeln beurteilen. Mögliche Fragen könnten sein:
- Kann es sein, dass das Kind nicht mitbekommen hat, was die Spielgruppe verabredet hat und damit ausgegrenzt ist, selbst wenn kein Kind es absichtlich ausgegrenzt hat?
- Ist es schon nach 13 Uhr und das Kind einfach hör-müde?
- Ist das Kind vielleicht sehr gestresst, weil die Umgebung am heutigen Tag lauter ist als sonst, z.B. wegen einer Musikveranstaltung oder eines Tobetages?
- Könnte es sein, dass Kinder gemein zu dem Kind mit Hörgerät sind und es ausgrenzen?
- Kann es dem Kind unangenehm sein, immer wieder gefragt zu werden, was das da in den Ohren ist?
- Trägt das Kind seine Haare lang und immer offen (und ja, auch in nicht angebrachten Situationen), weil es vielleicht die Hörgeräte verstecken möchte?
- Hat das Kind vielleicht andere Worte verstanden als gesagt wurden und deswegen für die restlichen Kinder oder Sie ungewöhnlich reagiert?
Kinder mit Hörgeräten haben einen deutlich anstrengenderen Tag. Für dieses Kind ist der KiTa-Alltag noch viel lauter als für die anderen Kinder oder Sie als Betreuende. Ihr Gehirn kann Wichtiges von Unwichtigem filtern. Für Kinder mit Hörgeräten wird im schlimmsten Fall jeder (!) Ton direkt in gleichbleibender Lautstärke ins Bewußtsein getragen.
In diesem Punkt ist das Tragen von Hörgeräten überhaupt nicht vergleichbar mit dem Tragen einer Brille. Seien Sie großzügig. Seien Sie einfühlsam. Seien Sie verständnisvoll.
Sind Kinder mit Hörgeräten schüchterner?
- Nicht-Akzeptanz oder unsensibler Umgang der Einschränkung in der Familie oder dem Umfeld des Kindes und Aussagen wie “hör doch mal zu!” oder “Sei nicht so laut!”
- Erfahrung mit häufigem Nachfragen anderer Kinder über die blinkenden “Dinger” im Ohr
- eingeschränktem Mitbekommen, was passiert
Warum sind Kinder mit Hörgeräten manchmal lauter?
Wenn die Hörgeräte eine Geräuschunterdrückung besitzen, werden Störgeräusche gedämmt. Damit kann es sein, dass für ein Kind mit Hörgeräten etwas gar nicht laut klingt, aber für die normal hörenden Menschen in seinem Umfeld durchaus. Weisen Sie das Kind einfach sanft darauf hin, dass es für Sie lauter ist.
Über die Autorin dieser Info-Seite:
Ich bin Tanja Michelis, Mutter eines beidseitig Hörgeräte-tragenden Kindes. Mein Kind bekam seine Hörgeräte mit dem ersten Geburtstag und ist mittlerweile in der sechsten Klasse. Eine Menge Zeit, um viele wichtige Dinge im Zusammenleben mit einem Kind zu sammeln, das Hörgeräte trägt. Die Tipps, die Sie hier finden, stammen aus unseren 11 Jahren Selbsterfahrung mit unserem eigenen Kind, mit KiTas und zwei Schulen, mit vielen Erzieherinnen und Lehrenden, SozialarbeiterInnen sowie TherapeutInnen.